Die Laborantin
Von Ella Road
Bea, Laborantin in einer großen Klinik, arbeitet in einer Wachstumsbranche: Seit kurzem erteilt ein einfacher Bluttest Auskunft über Erbkrankheiten, Gendefekte, die Wahrscheinlichkeit psychischer und körperlicher Erkrankungen und errechnet für die komplizierten Ergebnisse einen Gesamtwert auf einer Skala von eins bis zehn. Was als Fortschritt für die individuelle Gesundheitsvorsorge gedacht ist, wirkt sich schnell auf alle Lebensbereiche aus: Der Traumjob, ein Date, der Kredit fürs Eigenheim, nichts geht mehr ohne ein gutes Rating – und wäre es nicht am humansten, Menschen mit schlechten Erbanlagen pflanzten sich gar nicht erst fort? Bea (7,1) und ihrem Freund Aaron (8,9) hingegen stehen alle Türen offen. Aarons Rating ermöglicht ihm die Juristenkarriere, Beas Beruf ist krisensicher. Als Beas Freundin Char nur auf einen Wert von 2 getestet wird, entdeckt Bea einen lukrativen Nebenerwerb: Wenn eine simple Zahl über die eigene Zukunft entscheidet, ist ein gefälschter Test bares Geld wert.
Diese spannende Zukunftsvision, die jedoch leider schon fast ein Gegenwartsstück zu sein scheint, wurde von einer Mittzwanzigerin geschrieben. Die Geschichte handelt von ebenso jungen Leuten und beschäftigt sich auf tragikomische Weise mit dem Opportunismus großer Teile nachwachsender Generationen. Dieser Anpassungsdruck lässt Jungsein, älter aussehen als beispielsweise das Leben des unkonventionellen Bauchmenschen und Mittfünfzigers David, dem Hausmeister der Klinik.
Im Anschluss an die Vorstellung findet mit den Schauspieler*innen und unserer Chefdramaturgin Anja Del Caro ein Nachgespräch statt, zu dem wir alle Besucher*innen herzlich einladen.
Ein aufrüttelnder, nachdenklich stimmender Theaterabend zu einem hochaktuellen Thema unserer Zeit.
Hamburger Morgenpost